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Winnenden Part2

23. März 2009

26. April 2002 – Robert Steinhäuser – Erfurt
20. November 2006 – Sebastian B. – Emsdetten
11. März 2009 – Tim Kretschmer – Winnenden

Drei Daten, drei Namen, drei Orte. Sie hallen wie Schüsse in unseren Ohren, wenn wir sie hören. Wir verbinden sie mit Angst, Schrecken, Tod und Verlust. Ein Amoklauf ist etwas schreckliches, das möchte ich nicht bestreiten. Trotzdem hat mich der Vorfall von Winnenden nicht schockiert, zumindest nicht wegen der Tat an sich.

Vielleicht ist es mir erst seit Erfurt richtig bewusst, aber seitdem habe ich von so vielen Amokläufen gehört, dass es für mich nichts mehr ist, das ich in allen Details berichtet sehen möchte. Doch was hat mich an Winnenden dann schockiert? Ich saß an dem Tag in der Uni und habe gearbeitet. Nebenbei habe ich immer mal wieder Mails geschaut und dabei die Schlagzeilen auf web.de gelesen.
Amoklauf in Winnenden
5 Tote
15 Tote
Täter erschoss sich
Es war Schema F…Sobald es etwas neues gab, wurde es veröffentlicht, auch wenn es nur einige wenige Sätze waren. Es wurde ein riesiger Medienwirbel darum gemacht und ich habe nur darauf gewartet, dass es wieder die bößen Killerspiele waren, die Kretschmer zu der Tat gebracht haben. Tatsächlich wurde ich nicht enttäuscht! „Täter hat kurz vor der Tat noch Killerspiele gespielt“
Juhu! Die bößen Killerspiele!
Ich war wirklich froh, als bekannt gegeben wurde, dass Kretschmer psychologische Probleme hatte und die mit ein Grund für die Tat gewesen sein müsse.

Doch ich möchte jetzt nicht seitenweise darüber schreiben, dass „Killerspiele“ keine Amokläufe auslösen oder dass man mal schauen sollte, ob Kretschmers Umfeld nicht einfach nur scheiße war. Ich will stattdessen meine Meinung zur Berichterstattung und den nachfolgenden Tagen loswerden. Dort sind mir nämlich mehrere Sachen aufgestossen.

1) Der riesen Medienwirbel um die ganze Sache. JA, ein Amoklauf ist schrecklich und JA, es ist tragisch für die Angehörigen. Aber ist die Einschaltquote wirklich so wichtig, dass man unentwegt darüber berichten muss? Ich sage NEIN! Jedes Fitzelchen Information wird sofort an die Zuschauer verfüttert, egal wie klein es ist. Es spricht doch auch für sich, dass die Bewohner von Winnenden nach 3 Tagen nicht mehr mit den Reportern geredet haben. Den Anwohnern wurde es einfach zu viel.
Darf Berichterstattung so weit gehen?

2) Die Medien in den folgenden Tagen. Nicht nur, dass andauernd berichtet wurde, nein, heute wurde die offizielle Trauerfeier im Fernsehen übertragen. Ich war froh, dass es auf einem öfentlichen Sender lief und nicht auf einem privaten. Dann war es wenigstens nur ein ganz klein wenig aufgrund der Einschaltquoten. Das ist zwar nur meine Meinung, aber man sollte aus sowas keine Medienübertragung machen…

3) Die Trauerfeier. Was hatten Merkel und Köhler da zu suchen? Warum müssen da Politiker kommen? Was haben die damit zu tun? Einerseits zeigt es zwar das Mitgefühl der „Mächtigen“ im Land den Opfern und Angehörigen gegenüber, andererseits kann ich es aufgrund der nahenden Wahlen auch nicht komplett ernst nehmen. Ich denke, dass es eine Mischung aus beidem war, wobei ich mir nicht über das Mischungsverhältnis Gedanken machen will, aus Mitleid und Profilierung.
Aber mal andersrum: Wieviele größere Unglücke gibt es im Jahr? Autounfälle, Gasexplosionen, Busunglücke…Wo sind Merkel und Köhler da? Warum sind sie dort nicht auch? Was macht einen Amoklauf zu etwas „besonderem“ gegenüber „normalen“ Unglücken? Ich verstehe es nicht…

4) Die Reaktionen der Bevölkerung. Zwei oder drei Tage nach dem Amoklauf habe ich in einem meiner Gästebücher den folgenden Eintrag gefunden:

Lichterkette für alle Opfer in Winnenden
und deren Angehörige

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Wir trauern mit Winnenden!
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Bitte gib es weiter !!!!

Wieviele Lichterketten soll es denn noch geben? Ich halte so etwas für schwachsinnig. Ich bezweifle, dass jemand, dem dieses Bildchen Trost spenden würde, jemals über meine Seite stolpert. Solche Aktionen bringen nichts, ausser dass sie den Vorfall nur noch länger präsent halten. Ich kann verstehen, wenn Leute ihr Mitgefühl ausdrücken wollen, aber ich halte ein „Mitgefühl für Winnenden“ in der Signatur für wesentlich persönlicher als das Bild oben.

Letztendlich teile ich Fabians Ansicht, dass ein Amokläufer neben seiner Rache auch Aufmerksamkeit will. Die Medien erfüllen ihm diesen Wunsch sichtlich gerne und spornen damit VIELLEICHT auch indirekt andere Personen an, einen Amoklauf durchzuführen. Man beachte hier das VIELLEICHT! Ich möchte den Medien hier nichts unterstellen, es ist nur eine Vermutung, wie potentielle Täter es aufnehmen KÖNNTEN.
Ich habe es vorhin schon einmal gesagt, aber wieviele andere Unglücke ereignen sich im Jahr bei denen die Medien nicht so einen Aufstand machen? Ein Amoklauf ist genauso tragisch wie ein Busunglück bei dem 20 Menschen sterben oder ein Häuserbrand, bei dem 5 Leute ihr Leben und weitere 15 ihr gesamtes Hab und Gut, vielleicht ihre Existenz, verlieren. Ein Amoklauf ist nur seltener, aber nicht schlimmer.

Soweit meiné Meinung zu Winnenden.

So long
Chris